Bei mehreren Hundert Projekten und Kampagnen innerhalb von über 20 Jahren hat sich immer wieder gezeigt, dass es grob betrachtet drei Reaktionstypen gibt, wenn man Beschäftigte für das energiebewusste Verhalten gewinnen will: die Typen „Ich will nicht“, „Ich kann nicht“ und „Ich weiß nicht“. Demnach verschwenden Menschen Energie, weil sie es nicht anders wollen (bspw. aus Gleichgültigkeit), weil sie nicht anders können (z.B. aus objektiver oder subjektiv empfundener Zeitnot), oder weil sie es nicht besser wissen (etwa, weil ihr Wissen veraltet ist).
„Alles Routine!“ – die Macht der Gewohnheit
Von manchen Führungskräften wird die Meinung vertreten, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur am Arbeitsplatz Energie verschwenden, während sie zuhause sparsam seien, weil die Energieverschwendung dort ans eigene Geld geht. Stimmt diese Einschätzung?
Dieses Verhalten kommt tatsächlich vor, doch sind die Beschäftigten, die sich im Dienst anders verhalten als zuhause, eine untypische, kleine Minderheit: Langjährige Erfahrungen belegen, dass die große Mehrheit der Menschen am Arbeitsplatz nicht aus Gleichgültigkeit oder gar Böswilligkeit Energie verschwendet („Ich will nicht“), sondern aus Unwissenheit und – vor allem – aus Gewohnheit. Und sie sind zuhause mitnichten energiebewusst und verbrauchen nur am Arbeitsplatz mehr Energie als nötig: Sie gehen zuhause genauso unbewusst („verschwenderisch“) mit Energie um wie im Dienst – eben aus Gewohnheit, die mitunter gepaart ist mit Unwissenheit.
Der Grund hierfür sind oftmals verbreitete und hartnäckige Irrtümer, landläufige Vorurteile und Ammenmärchen zu Fragen des Energiesparens – so zum Beispiel die Einschätzung, dass es billiger sei, eine Lampe eine halbe Stunde brennen zu lassen, anstatt sie auszuschalten. Oder der Irrglaube, dass beispielsweise ein PC keinen Strom mehr verbraucht, wenn er ausgeschaltet ist. Oder die Annahme, dass es schneller warm wird, wenn man ein Thermostatventil ganz öffnet. Dazu kommt häufig die – nicht eben motivierende – Unwissenheit über die Höhe der verhaltensbedingten Einsparpotenziale und über die Möglichkeiten, diese Potenziale durch bewusstes Verhalten zu heben.
Auch das (Nicht-) Betätigen von abschaltbaren Steckdosenleisten ist eine Frage der Gewohnheit (Bild: iStock/200mm).
Auf diese Weise kann die Energieverschwendung völlig ungewollt zur Routine werden. Wenn jemand bspw. seit vielen Jahren seinen PC zum Feierabend zwar herunterfährt, ihn und den Monitor aber nicht mit Hilfe der vorhandenen abschaltbaren Steckdosenleiste komplett vom Stromnetz trennt, weil er glaubt, seine Bürogeräte ziehen im ausgeschalteten Zustand keinen Strom mehr, dann hat er aufgrund von Unwissenheit eine Gewohnheit ausgebildet, die unnötigen Stromverbrauch verursacht – und die er zuhause natürlich nicht ablegt, sondern beibehält.
„Weitermachen wie bisher“ – die Lust an der Routine
Diese Praxiserfahrungen, nach denen die Nutzersensibilisierung in erster Linie an den Gewohnheiten der Menschen ansetzen muss, decken sich mit den Erkenntnissen der Hirnforschung wie auch der wissenschaftlichen (Umwelt-) Psychologie (vgl. hierzu exemplarisch: Hamann et al. 2018. S. 75-77 und 100).
Der renommierte Hirnforscher Gerhard Roth, von 2003 bis 2011 Präsident der Studienstiftung des deutschen Volkes und viele Jahre Koordinator des „European Campus of Excellence“, führt dazu aus: „Menschen suchen sich […] in der Regel diejenigen Lebensumstände, die zu ihrer Persönlichkeit passen, anstatt sich in ihrer Persönlichkeit und Lebensführung den wechselnden Lebensumständen anzupassen. Sie zeigen also Anpassung, die auf Konstanz aus ist. Dies drückt sich in der Tendenz der meisten Menschen aus, weiterzumachen wie bisher, selbst wenn Veränderungen ihnen durchaus Vorteile bringen würden […] Ein Weitermachen wie bisher trägt eine starke Belohnung in sich als Lust an der Routine, am Expertentum, am Statusbewahren […] Menschen in ihrem Verhalten zu ändern ist also schwer, und zwar umso schwerer, je tiefer die Veränderungen greifen“ (Roth 2013, S. 290). Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse gilt auch für die Nutzersensibilisierung der Grundsatz: „Jeder Praktiker, der mit Mitarbeitern zu tun hat, sollte sich für Gewohnheiten interessieren“ (Becker 2018, S. 185).
„Die Probe aufs Exempel“ – ein Selbstversuch
Die Verhaltenssteuerung durch die Gewohnheit ist im Zweifelsfall sogar stärker als jene, die auf Wissen basiert. Mit anderen Worten: Die Gewohnheit vermag sogar, den Verstand außer Kraft zu setzen. Wenn Sie dies einmal am eigenen Leib erfahren möchten, sei Ihnen der folgende kleine Selbstversuch empfohlen.
Hängen Sie die Wanduhr in Ihrem dienstlichen Büro, Ihrer heimischen Küche oder in Ihrem Wohnzimmer mit mehreren Metern Abstand von ihrem angestammten Platz an eine andere Wand desselben Raumes (oder hängen Sie sie einfach ab). Sie werden überrascht sein, wie oft Sie, wenn Sie in den darauffolgenden Tagen die Uhrzeit ablesen möchten, völlig vergeblich auf die Stelle an der Wand schauen werden, an der Ihre Uhr bisher gehangen hat. Obwohl Sie wissen, dass die Wanduhr woanders (oder gar nicht mehr) an der Wand hängt, und obwohl Sie sogar eigenhändig ihren Platz verändert haben, schauen Sie vermutlich immer wieder auf ihren alten, nunmehr verwaisten Platz – aus purer Gewohnheit, die Ihren Verstand bei der Verhaltenssteuerung immer wieder außer Kraft setzt.
Mithilfe des einfachen Selbstversuchs des Um- oder Abhängens einer Wanduhr lässt sich die Macht der Gewohnheit eindrücklich „am eigenen Leib“ erfahren (Bild: Unsplash/Moritz Kindler).
Alternativ zum Umhängen der Wanduhr können Sie auch den Papierkorb in Ihrem Büro an einen anderen Platz stellen. Sie werden wahrscheinlich auch hier dieselbe Erfahrung machen: Alte Gewohnheiten steuern unser Verhalten unbewusst und selbst dann, wenn wir wissen, dass ein veränderter Kontext ein verändertes Verhalten notwendig macht.
„Und jetzt?“ – Schlussfolgerung für die Nutzersensibilisierung
Gewohnheiten sind nichts anderes als ein Verhalten, das regelmäßig in einem stabilen Kontext stattfindet. Solche Verhaltensweisen werden automatisiert und nicht bewusst ausgeführt (vgl. Duhigg 2013 und Wood et al. 2002); daher lassen sie sich nicht ohne Weiteres ändern, auch nicht durch gute Absichten:
„Sowohl die Nutzung von Heizenergiewärme als auch die Benutzung elektrischer Geräte und Beleuchtung ist in Alltagsroutinen eingebunden. Neuere Untersuchungen aus dem Bereich der Umweltpsychologie […] zeigen, dass gerade in der daraus resultierenden Habitualisierung starke Beschränkungen für die intentionale Veränderung solcher Verhaltensweisen liegen […] Es erscheint daher dringend geboten, den Aspekt der Gewohnheitsbildung bei der Entwicklung und Bewertung von Interventionsstrategien im Bereich der Energienutzung allgemein und insbesondere für den Bereich der Organisationen zu berücksichtigen“ (Matthies/Wagner 2011, S. 15).
Natürlich ist die Wissensvermittlung ein wichtiger Bestandteil der „mission E“, doch führt mehr Wissen nicht zwangsläufig zu einem veränderten Verhalten. Darum basieren einige der konzeptionellen Eckpfeiler, die den Markenkern der „mission E“ bilden, ganz bewusst auf dem Phänomen, dass alltägliche Verhaltensweisen unbewusst ablaufende Gewohnheiten ausbilden.
„Nur Geduld!“ – die Metapher vom Steinmetz
Weil alltägliche Gewohnheiten (unbewusste „Handlungsroutinen“) – am Arbeitsplatz ebenso wie zuhause – der häufigste Grund für die Energieverschwendung sind, reichen zum Beispiel einmalige Rundmails, Infobriefe, Plakataktionen oder Aktionstage nicht aus, um die Einsparpotenziale des energiebewussten Verhaltens zu heben. Hierzu sei abschließend die Metapher vom Steinmetz erzählt.
Klassische Werkzeuge eines Steinmetzes (Bild: Pixabay/stux)
Haben Sie schon einmal gesehen, wie ein Steinmetz mit seinem traditionellen Werkzeug einen Steinquader auseinanderschlägt?
Er zieht einen Strich an der Stelle, an welcher der Stein auseinanderbrechen soll. Dann nimmt er seinen Hammer und schlägt einmal den Strich entlang. Er schlägt ein zweites Mal und ein drittes Mal – nichts bewegt sich. Er schlägt präzise zehn Mal auf immer dieselbe Stelle, doch am Stein ist keine Veränderung zu erkennen. Der Steinmetz schlägt unermüdlich einhundert Mal auf immer dieselbe Stelle, wieder und wieder – keine sichtbare Veränderung. Erst nach dem zweihundertsten, vielleicht sogar erst nach dem dreihundertsten Schlag auf immer dieselbe Stelle macht es plötzlich „Wumm!“, und der Stein bricht exakt an der Stelle, auf die der Steinmetz mit seinem Hammer vorher dreihundert Mal scheinbar vergeblich geschlagen hat.
Auch wenn dies im Kontext der „mission E“ eine sehr mechanistische Metapher sein mag: Genauso verhält es sich bei der Sensibilisierung für das energiebewusste Nutzerverhalten. Menschen haben hartnäckige Gewohnheiten und feste Überzeugungen, die nicht bei der ersten Erschütterung zerbröseln und zu Staub zerfallen. Und es gibt verbreitete Irrtümer, an die die Menschen felsenfest glauben. Manchmal haben wir es sogar mit „Betonköpfen“ zu tun – dann beißen wir auf Granit und uns möglicherweise die Zähne aus. Doch irgendwann, auch das zeigt die Erfahrung, macht es bei den meisten Menschen „Klick“.
Literatur
Becker, Florian 2018: Mitarbeiter wirksam motivieren – Mitarbeitermotivation mit der Macht der Psychologie. Berlin
Duhigg, Charles 2013: Die Macht der Gewohnheit – Warum wir tun, was wir tun. München
Hamann, Karen et al. 2018: Psychologie im Umweltschutz – Handbuch zur Förderung nachhaltigen Handelns. München
Matthies, Ellen; Wagner, Hermann-Josef (Hrsg.) 2011: Change – Veränderung nachhaltigkeitsrelevanter Routinen in Organisationen. Berlin (Reihe „Energie und Nachhaltigkeit“).
Roth, Gerhard 2013: Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten. Warum es so schwierig ist, sich und andere zu ändern. Stuttgart
Wood, Wendy et al. 2002: Habits in everyday life – The thought and feel of action. In: Journal of Personality and Social Psychology, Volume 83, S. 1281-1297
Quelle (siehe Link-Liste): NRW.Energy4Climate
(Dieser Beitrag ist eine an das Medium Internet angepasste und textlich leicht veränderte Version des Kapitels 1.1 „Gründe für die Energieverschwendung am Arbeitsplatz“ des Kompendiums der „mission E“, S. 20-23.)
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